Montag, 29. Mai 2017

Wie Fett wirkt: Dick sein ist nicht immer ungesund


Warum wird der eine Mensch dick und der andere nicht? Warum bleibt der eine nach einer Diät schlank und der andere wird noch schwerer? Die Regulierung unseres Körperfetts ist eine komplexe Sache. Wie funktioniert das eigentlich?



Fett im Körper ist nicht einfach nur Fett. Es besteht aus weißem, braunem und beigem Fett. Diese drei Arten verteilen sich im Körper, aber tun bei weitem nicht dasselbe. Weißes Fett ist das, was wir durchweg als Fett beschreiben: Es wird als Energiereserve angelegt. Wenn wir dicker werden, hat das mit einer erhöhten Aktivität weißer Fettzellen zu tun. Braunes Fett hingegen, ist eine echte Verbrennungsmaschine: Es wandelt Kalorien aus unserer Nahrung unmittelbar in Wärme um. Das ist nicht unwichtig für uns »Warmblüter«, die eine konstante Körpertemperatur von 37 Grad Celsius brauchen, um gut zu funktionieren. Beiges Fett ist eine Zwischenform der anderen beiden Fettarten, vor allem weil es Hinweise gibt, dass weiße Fettzellen in beige umgewandelt werden können. Auch beige Fettzellen fungieren als Wärmeproduzenten.

Weißes Fett bildet den Hauptanteil

Weißes Fett stellt in der Regel den größten Anteil im Körper dar. Es sammelt sich mit Vorliebe im Bauch, auf den Hüften und an den Oberschenkeln. Die »Rettungsringe«, die im Englischen auch liebevoll als »love handles« bezeichnet werden, sind Ansammlungen weißer Fettzellen unter der Haut. Aber weißes Fett kann auch tiefer sitzen, rundum Organe wie Leber, Herz und Darm. Man spricht dann von Organfett oder Viszeralfett, dass als besonders gefährlich für unsere Gesundheit gilt: Der Bierbauch ist die bekannteste Erscheinungsform dafür. Erst im Herbst 2016 zeigte »The Journal of the American College of Cardiology« einen starken Zusammenhang zwischen Fett im Bauch - vor allem versteckt rundum den Darm - und einem erhöhten Risiko für ernste Herzprobleme. Sehr übergewichtig zu sein, kostet demnach einen Menschen durchschnittlich sieben Lebensjahre.

Weltweites Übergewicht

Weißes Fett ist verantwortlich für die Pandemie von Übergewicht und der krankmachenden Form Adipositas, die die Welt plagen. Eineinhalb Milliarden Menschen auf der Welt leiden an Übergewicht mit einem Body-Mass-Index von mehr als 25, von denen eine halbe Milliarde adipös ist, mit einem BMI über 30. Adipositas trifft mehr Frauen als Männer. In der Europäischen Union waren 2014 51,6 Prozent der Erwachsenen übergewichtig und 15,9 Prozent adipös. Und auch an den Kindern geht diese Entwicklung nicht vorbei. Ungesunde Ernährung und immer weniger Bewegung haben dazu geführt, dass in Deutschland laut Angaben aus 2016 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) je nach Bundesland zwischen acht und zwölf Prozent der Kinder übergewichtig sind. Herumtollen im Garten wird mehr und mehr ersetzt durch Zocken an der Spielekonsole, am Computer oder mit Smartphone und Tablet. Leider entwickeln sich Kinder, die zu dick sind, nicht einfach so hin zu einem normalen Körpergewicht.

Retter in der Not

Die Existenz des beigen Fetts wurde erst im Jahr 2012 im Fachmagazin »Nature« bekanntgemacht. Beige Fettzellen finden sich verteilt in den Ansammlungen des weißen Fettes. Es gibt Hinweise, dass man ihre Anzahl vergrößern kann, wenn man weiße Fettzellen so stimuliert, dass sie in beige Fettzellen umgewandelt werden. Das ist vorteilhaft, denn so werden Fettreserven zur Produktion von Körperwärme verwendet. Das ist gut für die Gesundheit, vor allem wenn man schon ein paar Pfunde zuviel hat. Die besten Methoden, um weißes Fett in beiges Fett zu verwandeln, sind nicht so, dass viele Menschen sie spontan anwenden würden. Es soll nämlich positiv sein, etwas »kühler« zu leben und vor allem kühler zu schlafen, beispielsweise in einem Schlafzimmer, das nicht wärmer ist als 20 Grad und ohne viele Decken. Kälte ist ein starker, allerdings auch unangenehmer Reiz im Kampf gegen das Übermaß an Fett.

Hormon Irisin wandelt weißes in beiges Fett

Körperliche Anstrengung ist natürlich auch eine Möglichkeit, dank des Hormons Irisin. Irisin wird durch Kontraktionen von Herz- und Muskelzellen produziert und soll weiße Fettzellen in beige umwandeln. Nach einigen Diskussionen wurde bestätigt, dass Irisin ausreichend hohe Konzentrationen erreichen kann, um die Umwandlung von weißem in beiges Fett anzuregen. Es wird inzwischen als neue Therapie angesehen: Ein Mittel, um den Körperfettanteil auf ein normales Niveau zu bringen. Aber das ist vorläufig noch Zukunftsmusik, bis auf Weiteres müssen Sie selbst ran, durch Sport und andere körperliche Aktivitäten lässt sich das Hormon aktivieren.

Stress und Schlafmangel lassen die Fettdepots wachsen

Irisin ist nicht das einzige Hormon, das eine Rolle spielt bei Veränderungen im Fettgewebe. Stress ist ein erschwerender Faktor. Nicht nur weil man dann schneller zu Süßigkeiten greift, sondern auch weil Stresshormone wie Cortisol die Speicherkapazität weißer Fettzellen im Bauch erhöhen. Stress macht bekanntermaßen dick. Dasselbe gilt für Schlafmangel. Er aktiviert Hormone, die auf die weißen Fettzellen im Bauch wirken, wiederum Cortisol, aber auch Substanzen, die das Hungergefühl beeinflussen. Wer schlecht schläft, hat mehr Hunger und isst mehr.

Darmflora beeinflusst Umwandlung von Fettzellen

Sehr seltsam ist die Feststellung, dass Mäuse, die ohne Darmflora geboren wurden - ein Kunststück für wissenschaftliche Forschungen - eine starke Umwandlung von weißem in beiges Fett zeigen. Bekommen die Tiere später doch eine Darmflora, kommt die Umwandlung zum Stillstand. Wie das genau funktioniert, ist unklar, aber die Zellen des Abwehrsystems spielen möglicherweise eine Vermittlerrolle bei der Umwandlung. Substanzen, die durch das Immunsystem produziert werden, können als Hormone fungieren, die den Körperfettanteil sowohl negativ als auch positiv beeinflussen. Die Umwandlung von weißem in beiges Fett könnte solch eine positive Anpassung sein.

Fettgewebe arbeitet als kleine chemische Fabrik

Ein Fachartikel im Magazin »Nature« ging im Februar 2017 näher auf den Zusammenhang zwischen Immunabwehr und chronischen Stoffwechselproblemen wie Übergewicht ein. Fettzellen produzieren selbst hormonähnliche Stoffe, die über den Blutkreislauf in andere Organe gelangen. Dort können sie über Schaltkreise des Immunsystems chronische Entzündungen verursachen, die nicht selten in klassische Gesundheitsprobleme münden, die von Übergewicht begleitet werden wie Herzerkrankungen und Diabetes. Das Fettgewebe wird manchmal als kleine chemische Fabrik beschrieben, die fortwährend hunderte chemischer Stoffe produziert, wie das Hormon Leptin, das das Hungergefühl abnehmen lässt. Ohne, dass man es weiß oder fühlt, beeinflusst das Fettgewebe einen großen Teil des restlichen Körpers.

Abwehrsystem gestört

Unsere Abwehr ist ausgezeichnet gewappnet für den Kampf gegen Angreifer und für den Ausgleich von Nahrungsmangel. Unsere Fettzellen haben viele unserer Vorfahren, vor allem in der Prähistorie, vor dem Hungertod gerettet. Aber das Immunsystem ist nicht gut angepasst, um die Folgen übermäßiger Energieaufnahme zu kontern, denen wir uns aufgrund des Überflusses an Nahrung, ausgesetzt sehen. Darum verursacht das Immunsystem bei übergewichtigen Menschen chronische Entzündungen, obwohl die Abwehr eigentlich nicht aktiv werden sollte. Entzündungen können nützlich sein bei der Genesung geschädigten Gewebes, aber nicht wenn es um chronische Probleme geht wie zuviel Fett und ein Dauerfeuer mit Nahrungsmitteln im Darm, die eigentlich ungesund sind für die Darmwand.

Aufgeblasen wie ein Ballon

Die Wirkung von beigem Fett ist vergleichbar mit der des braunen Fetts. Das befindet sich hauptsächlich an bestimmten Körperstellen wie Nacken und Schultern. Es wandelt Kalorien in Körperwärme um. Weißes Fett ist also ein Speicher für das Anlegen von Reserven, die bei körperlicher Aktivität benutzt werden oder wenn wir Hunger haben. Braunes Fett ist ein konstant aktiver Wärmegenerator und wurde erst im Jahr 2009 entdeckt. Seither wurde es ausführlich erforscht, weil man hoffte, dass es eine Lösung für die Pandemie von Übergewicht und Fettleibigkeit bieten könnte. Wenn mehr Kalorien aus der Nahrung direkt verbraucht würden, gäbe es weniger Fettreserven zum Speichern, so die Überlegung.

Thermogenin wandelt Kalorien in Wärme um

Braunes Fett produziert pro Gewichtseinheit 300 Mal mehr Wärme als jedes andere Fett im Körper. Grund ist, dass braune Fettzellen verhältnismäßig viele Mitochondrien enthalten: Kleine Kraftwerke, die der Zelle Energie liefern. Sie enthalten auch ein Eiweiß, das die direkte Umwandlung von Kalorien in Wärme möglich macht: Thermogenin, das auch in beigen Fettzellen gefunden wurde. Babys verfügen über relativ viel braunes Fett, denn sie können noch nicht zittern, um Wärme zu produzieren, wenn sie frieren. Es war wissenschaftlich jedoch eine Überraschung, als braunes Fett auch bei Erwachsenen entdeckt wurde. Auch bei Erwachsenen wird das braune Fett in kälterer Umgebung aktiver: Temperaturen unter 16 Grad stimulieren seine Aktivität.

Braunes Fett bewirkt konstantes Körpergewicht

Überaus interessant ist die Feststellung, dass die Menge des braunen Fetts von Mensch zu Mensch stark variiert. Menschen, die im Laufe ihres Erwachsenenlebens wenig oder keine Gewichtsschwankungen zeigen, unabhängig davon wie viel sie essen oder sich bewegen, haben mehr braunes Fett als Menschen, deren Gewicht jojomäßig rauf und runter geht. Manche Menschen haben demnach die Fähigkeit, alles was sie essen so gut wie vollständig zu verbrennen, während andere - bei Mangel an besserem Fett - vor allem vom Speichervermögen ihrer weißen Fettzellen zehren.

Was gesund ist, ist individuell verschieden

2015 publizierten Wissenschaftler einen aufsehenerregenden Artikel im Fachmagazin »Cell«, der zeigte, dass was für den einen Menschen gesund ist, es für den anderen noch lange nicht ist. Sie untersuchten mehr als 46.000 Mahlzeiten von 800 Studienteilnehmern, deren Blutzuckerspiegel konstant überwacht wurde. Dasselbe Nahrungsmittelprodukt kann bei unterschiedlichen Menschen einen völlig anderen Effekt auf den Blutzuckerspiegel haben und damit auch auf die Fettspeicherung. Unterschiede in der Lebensweise und der Zusammensetzung der Darmflora spielen dabei ebenso eine Rolle wie genetische Komponenten. Manche Menschen erhalten mit ihren Genen eine Veranlagung zum Übergewicht, während andere essen können was sie wollen, ohne dass sich das eine oder andere Kilo anschleicht.

Gene spielen bei Übergewicht eine zentrale Rolle

In den vergangenen Monaten erklärte das Fachmagazin »Nature« die verschiedenen gewichtsbestimmenden Komponenten. Ein breiter Fächer von Genen spielt bei den Unterschieden in der Gewichtsregulierung eine Rolle: Gene, die die Fettverarbeitung steuern, das Hungergefühl, die Intensität des Stoffwechsels, das Verbrennungsvermögen von Nahrung - es gibt Hunderte, die mitbestimmen, wie der Körper auf Nahrung reagiert. In fast der Hälfte der Fälle von Übergewicht spielen Gene eine zentrale Rolle.

Gene bestimmen, wo das Fett sich ansammelt

Gene bestimmen auch, wo im Körper sich Fettzellen am liebsten ansiedeln. Die Menge an Fettzellen, die jemand hat, unterscheidet sich ebenfalls stark, von 30 bis 129 Milliarden pro Person. Die Zahl steht ab der Pubertät mehr oder weniger fest. Später werden weiße Fettzellen hauptsächlich aufgepumpt wie ein Ballon und schrumpfen manchmal wieder, wenn man Diät macht. Manche Menschen werden immer von einer schlanken Linie träumen, sie aber nie erreichen: Sie sind dafür einfach nicht gemacht. Aber dick sein ist auch nicht automatisch ungesund. Manche Menschen sind gesünder, wenn sie dicker sind, weil ihr Körper so angelegt ist. Dick sein ist nicht dasselbe wie zu dick sein. Ein Fünftel der korpulenten Menschen ist eigentlich nicht krank.

Epigenetik: Lebensweise beeinflusst Wirkung der Gene

Aus Forschungen ging hervor, dass Übergewicht mitentscheidend dafür sein kann, wie die Gene wirken, über den Zwischenschritt der Epigenetik. Außenstehende Faktoren wie Ernährung und andere Aspekte der Lebensweise können Veränderungen verursachen an der Position chemischer Marker, die sich auf der DNA anheften und die mit steuern, welche Gene in verwendbare Proteine überschrieben werden und welche nicht. Wissenschaftler haben bereits 187 Positionen auf unserem genetischen Material gefunden, die durch externe chemische Stoffe beeinflusst werden können und die mitbestimmen, ob man zu schwer wird und sogenannte Zivilisationskrankheiten wie Adipositas und Diabetes entwickelt. Forschungen, die im Fachjournal »BMC Medicine« präsentiert wurden, stellten eine Verbindung zwischen Adipositas und der Umprogrammierung der Wachstumszellen in der Muskulatur her, wodurch Adipositas buchstäblich auf Kosten der Muskelmasse geht: Signale aus den Fettzellen legen junge Muskelzellen lahm, in dem sie einige ihrer Gene teilweise blockieren.

Gene beeinflussen Funktion und Fetttyp

Gene beeinflussen auch die Funktion von Fett an den verschiedenen Stellen des Körpers. Das gilt selbst für die Art von Fett. Die weißen Fettzellen auf den Hüften und Oberschenkeln haben andere genetische Steuermechanismen als ihre »Kollegen« im Bauch. Es könnte sich genetisch gesprochen sogar um unterschiedliche Gewebe handeln. Manche der beteiligten Gene sind Steuerungsgene, die unter anderem bestimmen, welche Zellen zu welchen Organen wandern und wie Fettzellen auf Hormone und andere Signale reagieren. Die spezifische genetische Konstellation ist ein wichtiger Grund, warum weißes Fett im Bauch gefährlicher für die Gesundheit ist als an anderen Stellen des Körpers.

Weibliche Fettdepots sind harmloser

Genetische Unterschiede erklären auch zum Teil, warum Frauen mehr Fett auf den Hüften und Oberschenkeln speichern und Männer mehr im Bauch. Frauen haben darum auch weniger Probleme durch Folgekrankheiten von Übergewicht wie Diabetes und Gefäßerkrankungen, es sei denn, sie verfügen über mehr Bauchfett als der Durchschnitt - was unter anderem nach der Menopause ein zusätzlicher Risikofaktor wird. Frauen haben in der Regel mehr Fettgewebe als Männer, was aber nie mehr als ein Drittel ihres Körpergewichts betragen sollte. Bei Männern liegt die Grenze bei einem Viertel.

Jo-Jo-Effekt vermeiden: Langsames Abnehmen ist Pflicht

Wissenschaftler beschrieben im Fachmagazin »Nature« den Mechanismus, der entscheidend ist dafür, warum manche Menschen nach einer Diät weniger schnell wieder zunehmen, während andere sogar noch schwerer werden als vor der Diät. Gut und gerne 80 Prozent der Menschen, die eine Diät machen, kämpft danach mit einer unerwünschten Gewichtszunahme: der bekannte und gefürchtete Jo-Jo-Effekt. Dieser Effekt ist besonders stark, wenn der anfängliche Gewichtsverlust schnell geht, weil dann der Körper in Alarmzustand versetzt wird und ausgleichende Mechanismen aktiviert. Eine gute Diät bedeutet also: Langsam Gewicht verlieren, so dass der Körper Zeit bekommt, sich an die neue Situation anzupassen.

Kampf dem Energieverlust

Die Studie in »Nature« zeigte, dass im Darm von Menschen, die unter dem Jo-Jo-Effekt leiden, eine Art mikrobieller Signatur in Form einer angepassten Darmflora zurückbleibt, die dafür sorgt, dass das Gewicht nach einiger Zeit wieder zunimmt. Der Körper widersetzt sich dem plötzlichen Gewichtsverlust, weil er nicht weiß, dass Gewichtsabnahme auch gesund sein kann. Er bleibt im biologischen Modus des Widerstands gegen die ungünstige Ernährungssituation, die mit Energieverlust einhergeht. Der Körper will mehr Energie, nicht weniger. Er passt sich also an, unter anderem mit einer ständigen Angleichung der Darmflora, um zu garantieren, was er glaubt an Energie zu benötigen.

Mehr Speicherung weißer Fettzellen

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der wichtigste Exponent des körperlichen Widerstands ein erhöhtes Speichervermögen weißer Fettzellen ist. Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass manche Darmbakterien einen hemmenden Effekt auf die Aktivität der braunen Fettzellen haben. Es ist also ein doppelter Kompensationsmechanismus. Die Hoffnung besteht, dass das behoben werden kann, indem die Darmflora in den Ursprungszustand versetzt wird. Aber vorläufig gibt es noch keine Hinweise darauf, dass eine Darmfloratransplantation wirksam ist im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas.

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