Wer wenig Kalorien zu sich nimmt, scheint häufiger unter depressiven Beschwerden zu leiden. Das betrifft vor allem Männer und Übergewichtige.
Diese Ergebnisse zeigte eine amerikanische Studie mit mehr als 28.000 Erwachsenen. Aber was bedeutet das wirklich? Venkat Bhat erklärt die Zusammenhänge der Studie, die im Fachmagazin „BMJ Nutrition Prevention & Health“ veröffentlicht wurde.
Eine große Gruppe untersucht
Die Wissenschaftler untersuchten die Daten von 28.525 Amerikanern, die zwischen 2007 und 2018 an einer nationalen Gesundheitsumfrage teilgenommen hatten. Jeder von ihnen füllte einen Fragebogen, den PHQ-9, aus, der den Schweregrad depressiver Symptome misst. Man denke an Fragen zu Niedergeschlagenheit, Erschöpfung oder Konzentrationsschwierigkeiten. Es handelt sich um eine Art Standard-Check, den auch Ärzte verwenden. Außerdem wurde gefragt: Was essen Sie und machen Sie eine Diät, um Gewicht zu verlieren oder für Ihre Gesundheit?
Die Essgewohnheiten wurden in vier Gruppen eingeteilt: diejenigen, die weniger Kalorien zu sich nahmen, diejenigen, die auf bestimmte Nährstoffe wie Fett oder Zucker verzichteten, diejenigen, die eine medizinische Diät (z. B. wegen Diabetes) machten, und diejenigen, die einfach aßen, was sie wollten. Nicht weniger als 87 Prozent fielen in die letztgenannte Gruppe, das heißt in die Gruppe ohne Diät. Etwa acht Prozent ernährten sich kalorienarm, drei Prozent schränkten bestimmte Nährstoffe ein und zwei Prozent hielten eine medizinische Diät ein.
Eindeutige Ergebnisse
Die Ergebnisse waren eindeutig: Diejenigen, die weniger Kalorien zu sich nahmen, hatten auf der Depressionsskala im Durchschnitt 0,29 Punkte mehr als Menschen, die keine Diät machten. Bei Übergewichtigen war der Unterschied noch größer: 0,46 Punkte. Auch der Verzicht auf Nährstoffe wie Fett oder Zucker machte die Leute nicht glücklich: diese Gruppe erzielte 0,61 Punkte mehr. Bei den Beschwerden gab es ebenfalls Unterschiede: Kalorienarmes Essen wurde eher mit emotionalen Problemen wie Niedergeschlagenheit und Grübeln in Verbindung gebracht, während das Weglassen von Nährstoffen hauptsächlich körperliche Beschwerden wie Erschöpfung verursachte. Männer hatten mehr Beschwerden als Frauen. Bei ihnen verursachten alle Diäten mehr körperliche Symptome, und Nährstoffmangel führte auch zu mehr emotionalen Problemen. Frauen schnitten etwas besser ab.
Kalorienarme Diäten rufen mehr depressive Symptome hervor
Bhat erklärt es deutlich: „Unsere Studie ergab, dass Personen, die eine kalorienarme Diät einhielten, ein höheres Maß an depressiven Symptomen aufwiesen als Personen, die keine Diät einhielten, insbesondere bei übergewichtigen oder fettleibigen Personen.“ Aber er warnt sofort: „Da es sich jedoch um eine Querschnittstudie handelt, können wir nur von Zusammenhängen und nicht von Ursache und Wirkung sprechen. Eine Querschnittstudie ist eine Art Schnappschuss: Man betrachtet viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Eine solche Studie zeigt, dass zwei Dinge zusammenhängen, aber nicht, dass das eine das andere verursacht. Wir sind uns also nicht sicher, ob die Ernährung der Übeltäter ist.“
Erhöhter psychischer Stress
Warum sind Übergewichtige stärker betroffen? Bhat: „Einschränkende Diäten können zu erhöhtem psychischen Stress führen, insbesondere bei Menschen, die bereits mit gewichtsbedingten Problemen zu kämpfen haben. Die emotionale Belastung durch die Diät in Verbindung mit der Frustration über das Nichterreichen der Ziele kann zu depressiven Symptomen beitragen.“ Aber auch hier betont er, dass die Studie keine Kausalität beweisen kann.
Und die Unterschiede zwischen Männern und Frauen? „Ja, biologische und hormonelle Unterschiede, wie zum Beispiel der Einfluss von Sexualhormonen auf die Stimmungsregulierung, könnten eine Rolle spielen“, erklärt Bhat. Hormone wie Östrogen bei Frauen oder Testosteron bei Männern können die Stimmung beeinflussen. „Außerdem können Männer und Frauen Einschränkungen beim Essen und Sorgen um das Körperbild unterschiedlich erleben oder interpretieren, was zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen führen kann.“
Was ist der Unterschied zu früheren Studien?
Einige ältere Studien besagen, dass kalorienarmes Essen tatsächlich glücklicher macht. Wie kann das sein? Bhat: „Viele frühere Studien bezogen sich auf strukturierte oder kurzfristige Interventionen unter kontrollierten Bedingungen. Bei unserer Analyse wurden Daten auf Bevölkerungsebene aus der realen Welt verwendet, so dass ein breiteres und vielfältigeres Spektrum an Erfahrungen erfasst werden konnte. Kurz gesagt: In einem Labor mit einer perfekten Diät fühlen Sie sich vielleicht erstklassig, aber im wirklichen Leben liegen die Dinge anders.“
Und was ist, wenn Sie abnehmen wollen?
Heißt das, dass man von Diäten absehen sollte? Bhat rät: „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines individuellen und ausgewogenen Ansatzes zum Abnehmen. Extreme oder schlecht geplante einschränkende Diäten können der psychischen Gesundheit schaden, insbesondere bei bestimmten Gruppen. Machen Sie also keine Crash-Diät mit 500 Kalorien pro Tag, sondern wählen Sie etwas, das zu Ihnen passt und Sie nicht stresst.“
Mehr Forschung nötig
Um wirklich zu verstehen, wie dies funktioniert, müssen die Wissenschaftler noch weiter forschen. Bhat: „Langfristige, randomisierte, kontrollierte Studien, die das Essverhalten, die Nahrungsaufnahme und die psychische Gesundheit über einen längeren Zeitraum verfolgen, wären wertvoll. Auch die Erforschung personalisierter Ernährungsinterventionen zur Förderung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens ist von entscheidender Bedeutung. Das sind Studien, bei denen man Menschen über längere Zeiträume beobachtet oder ihnen nach dem Zufallsprinzip eine Diät verordnet, um zu prüfen, was wirklich Wirkung zeigt.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.