Samstag, 11. November 2023

PFAS erhöhen deutlich das Risiko für Schilddrüsenkrebs



Die häufig vorkommenden PFAS-Chemikalien erhöhen neuen Forschungen zufolge das Risiko für Schilddrüsenkrebs.

 

Zum ersten Mal werden PFAS nun konkret mit einer Form von Krebs in Verbindung gebracht. Wissenschaftler denken, dass die Belastung durch PFAS das Risiko von Schilddrüsenkrebs um mehr als die Hälfte erhöht. Diese „ewigen Chemikalien“, die sich nur schwer abbauen, sind alles andere als harmlos.

Ewige Chemikalien

PFAS (Poly- und Perfluoralkylsubstanzen) sind eine große, komplexe Gruppe synthetischer Chemikalien, die in den Boden, das Wasser und die Luft gelangen. „PFAS werden seit den 1940er Jahren hergestellt und sind in allen möglichen Produkten zu finden, zum Beispiel in antihaftbeschichteten Pfannen, schmutzabweisender Kleidung, Schaum in Feuerlöschern, Kosmetika und Reinigungsmitteln“, erklärt die Wissenschaftlerin Maaike van Gerwen von der Icahn School of Medicine des Mount Sinai. „PFAS finden sich aber auch im Boden, im Wasser und in Lebensmitteln. Da PFAS eine sehr starke Kohlenstoff-Fluor-Bindung haben, dauert es sehr lange, bis sie in der Umwelt oder im Körper abgebaut werden. Darum nennt man sie auch „forever chemicals“ oder „ewige Chemikalien.“

Kein Fisch aus der Westerschelde

Selbst wenn wir sofort mit PFAS stoppen, wird es also noch lange dauern, bis sie aus unserer Umwelt verschwinden. „Obwohl große Chemieunternehmen die Produktion der ersten PFAS, wie PFOS und PFOA, eingestellt haben, ist die Belastung durch PFAS immer noch hoch. Das liegt an ihrem langsamen Abbau in der Umwelt, aber auch daran, dass die Unternehmen andere PFAS entwickelt haben. Studien in der US-Bevölkerung zeigen, dass mehr als 95 Prozent der Menschen PFAS im Blut haben“, so Van Gerwen. Sowohl in Europa als auch in den USA wird die Belastung durch PFAS inzwischen als Gesundheitskrise betrachtet. So rät beispielsweise das niederländische Rijksinstituut voor Volksgezondheit en Milieu (RIVM), eine Behörde für öffentliche Gesundheit und Umweltschutz, vom Verzehr von Fisch aus der Westerschelde ab.

Steigende Zahlen von Schilddrüsenkrebs

Die jüngste Zunahme der Fälle von Schilddrüsenkrebs wird schon länger mit PFAS in Verbindung gebracht, aber nur wenige Studien hatten dies bestätigt. „Da Schilddrüsenkrebs in den letzten Jahrzehnten weltweit immer häufiger vorkommt, wollten wir untersuchen, ob Umweltfaktoren die Ursache für diesen Anstieg sein könnten. Das führte zu der Entdeckung, dass PFAS zumindest teilweise erklären können, warum Schilddrüsenkrebs häufiger vorkommt“, so Van Gerwen. „Das Risiko von Schilddrüsenkrebs durch PFAS-Belastung ist ein weltweites Problem, da PFAS überall auf der Welt vorkommen. Diese Studie liefert entscheidende Hinweise darauf, dass großangelegte Studien über die Auswirkungen der PFAS-Belastung auf die Schilddrüse durchgeführt werden müssen.“

Die Wissenschaftler untersuchten 88 Patienten mit Schilddrüsenkrebs, die kurz vor oder kurz nach der Krebsdiagnose Blutplasmaproben abgegeben hatten. Sie verglichen diese mit einer Kontrollgruppe von 88 Personen ohne Krebs. Die Wissenschaftler maßen acht Sorten von PFAS in den Blutproben der Teilnehmer. Die PFAS-Werte beider Gruppen wurden verglichen. Eine Chemikalie stach dabei besonders hervor: Perfluoroctansulfonsäure, kurz n-PFOS. Diese PFAS-Variante erhöhte das Risiko für Schilddrüsenkrebs um bis zu 56 Prozent.

Größere Studien erforderlich

Die Wissenschaftler verglichen dann die Ergebnisse mit einer Untergruppe von 31 Patienten, bei denen zwischen den Plasmaproben und der Diagnose Schilddrüsenkrebs mindestens ein Jahr lag. Dies ermöglichte eine Untersuchung des Zeitraums zwischen der PFAS-Belastung und der Krebsentwicklung. Auch hier wurde ein positiver Zusammenhang zwischen n-PFOS und Schilddrüsenkrebs sowie einer Reihe anderer Formen von PFAS festgestellt. Wann die Menge an PFAS zu viel wird, ist noch unklar. „Hierfür sind große Studien erforderlich, in denen Menschen ohne Schilddrüsenkrebs beobachtet und die PFAS-Werte regelmäßig bestimmt werden“, erklärt Van Gerwen.

PFAS beeinflussen die Hormonproduktion

Es scheint, dass PFAS nicht nur das Risiko von Schilddrüsenkrebs, sondern vielleicht auch von hormonell bedingten Krebsarten beeinflussen. „PFAS sind Chemikalien, die zur Gruppe der endokrinen wirksamen Chemikalien gehören“, erklärt die aus den Niederlanden stammende Wissenschaftlerin. „Es ist bekannt, dass diese Chemikalien die Hormonproduktion der endokrinen Organe beeinträchtigen. Die Hypothese lautet daher, dass PFAS auch Auswirkungen auf andere endokrine Organe haben könnten, wie zum Beispiel Prostata und Brustdrüse. Bislang ist jedoch nur PFOA von der International Agency for Research on Cancer (IARC) für den Menschen als krebserregend eingestuft worden. Eine der ersten größeren Studien über die Auswirkungen der PFOA-Belastung wurde in der Nähe des Dupont-Werks im amerikanischen Parkersburg, West Virginia, durchgeführt. In dieser Studie wurde ein Zusammenhang mit Nierenkrebs, Hodenkrebs und Schilddrüsenerkrankungen, jedoch nicht mit Schilddrüsenkrebs, festgestellt“, erklärt Van Gerwen. Natürlich kennt man Dupont auch durch das Werk im niederländischen Dordrecht, das in Chemours umbenannt wurde, und in dessen Nachbarschaft übermäßig hohe PFAS-Werte gemessen wurden. Das RIVM gibt nun Studien dazu in Auftrag.

Belastung nicht zu vermeiden

Van Gerwen ist von den Ergebnissen nicht völlig überrascht. „Wir hatten vor Beginn der Studie die Hypothese aufgestellt, dass PFAS mit Schilddrüsenkrebs in Verbindung stehen könnten. Wir müssen anmerken, dass diese Untersuchung mit einer relativ kleinen Studiengruppe durchgeführt wurde, so dass die Folgestudie darin besteht, unsere Studie in größerem Umfang zu wiederholen. Die Ergebnisse werden aber sicherlich die Grundlage für weitere Forschungen bilden. In Zukunft möchten wir dies auch in Bevölkerungsgruppen untersuchen, die höheren PFAS-Werten ausgesetzt sind, damit wir unsere ersten Ergebnisse bestätigen können.“

Bisher war es sehr schwierig, den Kontakt mit PFAS zu vermeiden, aber es sieht langsam so aus, als müssten wir die ewigen Chemikalien loswerden, meint auch Forschungsteam-Kollegin Lauren Petrick von der Icahn School of Medicine des Mount Sinai. „Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen einmal mehr, dass wir mit einer PFAS-Gesundheitskrise konfrontiert sind, und unterstreichen die Notwendigkeit, unsere Belastung mit PFAS zu reduzieren und hoffentlich eines Tages zu beseitigen“, sagt sie. „Derzeit ist es fast unmöglich, PFAS in unserem täglichen Leben zu vermeiden. Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse die Menschen für das Ausmaß dieser Chemikalien sensibilisieren.“

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