Dienstag, 24. Oktober 2023

Disziplin: Darum mangelt es manchmal an Willenskraft



Disziplin ist eine Frage der Willenskraft. Aber es gibt Momente, an denen die Willenskraft auf der Strecke bleibt.

 

Die lange geplante Diät läuft einfacher als befürchtet, der Verzicht auf Alkohol fällt auch leichter als gedacht, ebenso wie das Auslassen des Serienmarathons. Und es gelingt Ihnen sogar, den verhassten Papierkram in Ordnung zu bringen. Bis zu einem Moment, an dem man wieder alles schleifen lässt. Warum können wir dann plötzlich die Disziplin nicht mehr aufbringen?

 

Willenskraft kommt nicht von selbst. Und manchmal scheint sie sehr weit weg zu sein. In welchen Momenten ist es besonders schwierig, diszipliniert zu sein?

Situation 1: Sie waren schon sehr diszipliniert

Sie haben heute Ihre gesamte To-Do-Liste abgearbeitet, einschließlich der Aufgabe, die Sie schon seit Ewigkeiten ausgestellt haben. Um diese Aufgabe zu erledigen, haben Sie sogar eine Verabredung mit Freunden abgesagt. Völlig geschafft setzen Sie sich gemütlich vor den Fernseher und gießen sich ein kühles Bier oder Ihren Lieblingswein ein. Und das, obwohl Sie diesen Monat auf Alkohol verzichten wollten.

Weitere Beispiele: Raucher, die 24 Stunden keine Zigarette anzünden, gönnen sich eher eine große Portion Eis, wie Psychologen der Universität von Kalifornien schon 1988 herausfanden. Studenten, die während ihrer Examenszeit fleißig lernten, aßen mehr Junk Food, fand eine Studie der australischen Macquarie Universität 2005 heraus. Und Menschen, die eine Diät machten, gingen eher fremd, ergab 2007 eine Studie der Florida State Universität.

Die Willenskraft wird durch ihren Einsatz sozusagen „aufgebraucht“. Da Selbstbeherrschung Anstrengung erfordert, schwindet der Vorrat jedes Mal, wenn man den Widerwillen unterdrückt oder einer Versuchung widersteht. Deshalb kann man morgens oft noch Disziplin aufbringen, während es im Laufe des Tages immer schwieriger wird. Man schont die Batterie, indem man die Anzahl der Situationen, in denen man sich beherrschen oder auch anspornen muss, auf ein Minimum reduziert.

Situation 2: Der Blutzuckerspiegel ist zu niedrig

Hungrig steht man am Bahnhof und wartet auf den Zug nach Hause. Man hat den ganzen Tag nicht an Zigaretten gedacht, aber jetzt geht man plötzlich zur Raucherzone und fragt jemanden nach einer Zigarette.

Wie kommt das? Vielleicht liegt es an etwas, dass zwei Wissenschaftler der Universität von South Dakota 2010 herausfanden. Sie stellten ihre Probanden vor die Wahl: 120 Dollar morgen oder 450 Dollar nächsten Monat. Es stellte sich heraus, dass diejenigen, die einen niedrigen Blutzuckerspiegel hatte, sich eher für die unmittelbare Befriedigung des kleineren Betrags entschieden als diejenigen, die zuvor ein zuckerhaltiges Erfrischungsgetränk getrunken hatten.

Selbstbeherrschung raubt Energie. Und da das Gehirn andere Dinge zu tun hat, als Sie von Zigaretten fernzuhalten, weigert es sich, weitere Anstrengungen zu unternehmen, sobald Glukosemangel droht. Halten Sie Ihren Blutzuckerspiegel stabil, indem Sie genügend essen. Dann werden Sie es eher schaffen, das Rauchen zu lassen.

Situation 3: Wenn Ihr Versuch doch schon gescheitert ist

Montagmorgen, der Wecker klingelt eine halbe Stunde früher als sonst, weil Sie ab heute rechtzeitig zur Arbeit kommen wollen. Sofort drücken Sie die Schlummertaste auf dem Wecker und schaffen es nicht, eher aus den Federn zu kriechen. Am Abend stellen Sie den Wecker für den Rest der Woche wieder auf die Zeit ein, zu der Sie sonst immer aufgestanden sind. Denn dieser Versuch ist sowieso schon gescheitert.

2005 baten Wissenschaftler der State University of New York und der University of Pittsburgh 144 Gelegenheitstrinker, über ihren Alkoholkonsum Buch zu führen. Außerdem sollten sie berichten, wie sie sich am nächsten Morgen fühlten. Diejenigen, die tiefer ins Glas geschaut hatten, als beabsichtigt, berichteten von Kopfschmerzen, Übelkeit und Müdigkeit, aber vor allem von Schuldgefühlen und Scham, weil sie mehr getrunken hatten, als sie wollten. Dennoch griffen sie noch am selben Abend erneut zur Flasche.

Selbstkritik, Schuldgefühle und Scham sind schlecht für die Willenskraft. Um sich wieder wohlzufühlen, greift man oft auf das zurück, was man eigentlich aufgeben wollte. Besser ist es, sich Fehler zu verzeihen und sich neu zu motivieren, dort weiterzumachen, wo man aufgehört hat.

Situation 4: Wenn Sie dazu veranlagt sind

Statt wie geplant früher aufzustehen, um vor der Arbeit noch einen Spaziergang zu machen, drehen Sie sich noch mal um. Mittags geht es erneut schief, weil Sie sich für einen Hamburger entscheiden, obwohl Sie eigentlich weniger Fleisch essen wollten. Und am Abend bestellen Sie online einen neuen Rasenmäher, obwohl Sie Ihren Kaufkonsum generell reduzieren wollten.

In einem berühmt gewordenen Experiment aus den 1970er Jahren tischte ein Psychologe der Stanford University Kleinkindern Marshmallows auf. Bevor er den Raum verließ, forderte er das Kind auf, die Marshmallows erst zu essen, wenn er zurückkam. Einige Kinder konnten sich sehr gut beherrschen, während andere kläglich versagten.

Als dieselben Kinder als Erwachsene erneut untersucht wurden, stellte sich heraus, dass diejenigen, die schon als Kleinkinder den Marshmallows nicht widerstehen konnten, auch jetzt bei den Selbstbeherrschungsaufgaben schlechter abschnitten. Der eine reagiert von Natur aus emotionaler und impulsiver als der andere, lautete die Schlussfolgerung.

Manchmal ist Willenskraft einfach nicht die stärkste Charaktereigenschaft. Menschen mit mäßiger Disziplin haben mehr Aktivität in einer Gehirnregion, die als Lust- oder Belohnungszentrum bekannt ist und sind daher anfälliger für Versuchungen.

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