Sonntag, 23. April 2023

Heimweh: Was ist es und was kann man tun?



Viele Menschen leiden im Urlaub unter Heimweh. Was ist es und vor allem: Was kann man dagegen tun?

 

Endlich, endlich, Urlaub! Manchmal muss man einfach weg von zu Hause, nicht wahr? Aber wenn Sie sehr unter Heimweh leiden, werden Sie gerade im Urlaub todunglücklich sein. Man will dann eigentlich nur noch eins: nach Hause. Das Gefühl, die eigene Umgebung zu vermissen, ist so stark, dass einem manchmal regelrecht übel wird. Aber was genau ist Heimweh und kann man etwas dagegen tun?

Sehr viele Menschen haben im Urlaub schon mal Heimweh

Trösten Sie sich, denn Sie sind nicht der Einzige, der im Urlaub schon mal unter Heimweh leidet. Untersuchungen von Psychologen der amerikanischen Phillips Exeter Academy aus dem Jahr 1999 ergaben, dass 18 Prozent von 316 beobachteten Jungen zwischen acht und 16 Jahren, die an einem zweiwöchigen Sommercamp teilnahmen, unter Heimweh litten. In der Gesamtbevölkerung hatten 50 bis 75 Prozent schon einmal Heimweh, wie eine Studie der schottischen Strathclyde University von 1989 ergab. Eindeutige Unterschiede beim Heimweh zwischen Männern und Frauen wurden nicht festgestellt.

Die Symptome von Heimweh ähneln denen von Liebeskummer

Viele Menschen leiden also unter Heimweh. Dennoch findet man den Begriff weder in offiziellen psychiatrischen Lehrbüchern noch in der Liste der häufigsten psychischen Störungen. Auch wird nicht für Heimwehkranke gesammelt, es gibt keine Behandlungszentren und keine Patientenverbände. „Heimweh ist eines der Stiefkinder der Psychologie“, sagt Ad Vingerhoets. Der Professor für Emotionen und Wohlbefinden an der niederländischen Universität Tilburg ist einer der wenigen, die das Heimweh erforscht haben. Seiner Meinung nach ist Heimweh mit Liebeskummer vergleichbar. Auch das ist ein Zustand, den jeder kennt, den es aber offiziell nicht gibt und mit dem man nicht zum Arzt geht.

Weniger flexible Menschen haben häufiger Heimweh

Was bei den Heimwehkranken nun genau los ist, ist unklar. Vingerhoets zieht erneut die Parallele zum Liebeskummer. „In gewisser Weise ist man in die Situation zu Hause verliebt. In dem Moment, in dem man sich davon entfernt, wird das von intensiven Gefühlen begleitet.“ Aber warum empfinden manche Menschen das so viel stärker als andere?

Mehrere Studien über Heimweh zeigen, dass es vor allem eine Frage der Persönlichkeit ist. Es sind vor allem die weniger flexiblen Menschen, die am meisten unter dem Weggang aus der vertrauten Umgebung leiden. Sie haben die größten Schwierigkeiten mit Veränderungen. Menschen, die nur schwer Kontakte knüpfen, haben es ebenfalls schwer an einem neuen Ort. Und wenn man ein echter Kontrollfreak ist, vermisst man an einem neuen Ort schnell die festen Routinen, die man so gut im Griff hat.

Eine zu lockere/enge Bindung mit den Eltern ist nicht gut

Heimweh tritt auch häufiger bei Kindern auf, die eine sehr abhängige Beziehung zu ihren Eltern haben. Die Trennung führt dann zu Ängsten, die in Heimweh umschlagen können. Aber auch eine zu lockere Bindung ist nicht gut: Wenn der schwache Kontakt ganz wegfällt, kann der Wunsch nach Liebe und Zuwendung plötzlich aufkommen. Heimweh nach einer Person ist zwar anders als das Vermissen des Zuhauses, aber es geht oft nahtlos ineinander über.

Nur mal kurz anrufen, ob das Haus noch nicht abgebrannt ist

Dass Heimweh etwas Ernstzunehmendes ist, zeigt sich an den Symptomen, von denen die Betroffenen berichten. Sie fühlen sich einsam, unsicher, lustlos und ängstlich. Sie schlafen und essen schlecht, ergreifen keine Initiative und haben kein Interesse an ihrer neuen Umgebung. Manchmal sind sie kaum noch in der Lage zu denken. Die Psychologin Miranda van Tilburg, die 1998 in Tilburg über die Erforschung von Heimweh promovierte, sprach mit Menschen, die von ihrem Urlaubsort aus ihr leeres Zuhause anriefen, weil ein klingelndes Telefon ein Beweis dafür war, dass es noch nicht abgebrannt war.

Es spielt keine Rolle, wie weit man von zu Hause entfernt ist

Alles in allem ist es nicht verwunderlich, dass Heimweh oft als eine Art von Depression angesehen wird, die sich von der „normalen“ Depression durch die zwanghaften Gedanken an die Heimat unterscheidet. Für die Heftigkeit einer Heimwehattacke spielt die Entfernung von zu Hause übrigens keine so große Rolle, ergab 1992 eine Studie aus Tilburg. Die Dauer der Abwesenheit von zu Hause ist viel wichtiger, ebenso wie die Gesellschaft, in der man sich befindet.

Ist man unter bekannten Menschen, denen man vertraut, macht einem das Heimweh weniger zu schaffen. Es spielt eine große Rolle, ob Sie in Ihrer neuen Umgebung Unterstützung von anderen erhalten. Für die Auswirkungen von Heimweh spielt es auch eine Rolle, ob Sie Ihr Zuhause freiwillig oder gezwungenermaßen verlassen haben. Bei Flüchtlingen ist Heimweh natürlich stärker ausgeprägt als bei Urlaubern.

Gäbe es doch nur eine Pille gegen Heimweh

Der Tilburger Wissenschaftler bemerkt zynisch, dass dem Heimweh viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde, wenn die Pharmaindustrie eine Pille dagegen finden könnte. Im Moment können Therapeuten nicht viel mehr tun, als eine Liste mit Tipps zu geben und den Hinweis, dass man bei starkem Heimweh besser nach Hause fährt.

Doch Vingerhoets hat etwas im Hinterkopf, das er gerne in größerem Maßstab ausprobieren würde. „Ich wurde einmal von einer verzweifelten Frau gefragt, ob ich wirklich nichts wüsste gegen Heimweh. Ihr Mann hatte so viel Heimweh, dass sie nie richtig zusammen in den Urlaub fahren konnten. Obwohl ich kein klinischer Psychologe bin, sagte ich damals: „Es klingt verrückt, und ich gebe keine Garantie, aber geben Sie ihm Paracetamol.“ Und das half. Ich bekam eine ausführliche Dankes-E-Mail.“

Tipp: Probieren Sie Paracetamol gegen Heimweh

Es sieht so aus, als hätten wir es hier mit einem klassischen Fall von Placebo Effekt zu tun: ein wirkungsloses Mittel, das hauptsächlich eine psychologische Wirkung hat. Aber weit gefehlt: 2010 haben Forscher der Universität von Kentucky gezeigt, dass eine Substanz in dem Schmerzmittel Paracetamol eine dämpfende Wirkung auf die Intensität hat, mit der das Gehirn auf soziale Ablehnung reagiert (Liebeskummer ist ein klassisches Beispiel).

Offenbar gibt es im Gehirn eine Überschneidung zwischen den Bereichen, die auf körperlichen und sozialen Schmerz reagieren. Könnte eine einfache Paracetamol-Tablette wirklich das Wundermittel gegen Heimweh sein? Das muss ein großangelegtes Experiment beweisen. Man darf schon jetzt auf die Ergebnisse gespannt sein. Man könnte beinahe sagen: Wir bleiben dafür zu Hause.

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