Sonntag, 12. Oktober 2025

Stress macht vergesslich

Stress schadet dem Gedächtnis (Foto: pixabay.com)


Fühlen Sie sich heute gestresst? Dann ist das Risiko größer, dass sie gleich ihre Schlüssel nicht wiederfinden. Denn Stress macht Gedächtnisprobleme, zeigen neue Forschungen.

 

Neue Untersuchungen zeigen, dass Erwachsene an Tagen, an denen sie stressige Ereignisse erleben, wie einen Streit oder längere Zeit im Verkehrsstau stehen, häufiger unter Gedächtnisproblemen leiden.

 

Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler der Universität Tilburg in der Fachzeitschrift „Psychology and Aging“. Sie stützen sich dabei auf eine Studie mit 1071 Erwachsenen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung zwischen 43 und 90 Jahre alt waren. Die Wissenschaftler befragten die Teilnehmer acht Tage lang telefonisch. Dabei wurden die Teilnehmer beispielsweise nach stressigen Ereignissen gefragt, die sie an diesem Tag (vielleicht) erlebt hatten, nach ihrem emotionalen Zustand und nach Gedächtnisproblemen.

Die Studienergebnisse

Die Studie zeigt, dass die Teilnehmer an Tagen, an denen sie viel Stress hatten - beispielsweise wegen eines Konflikts mit jemandem, leichter Gesundheitsbeschwerden oder wegen Zeitdruck - ein höheres Risiko für Gedächtnisprobleme hatten. Dabei fiel den Forschenden auf, dass die Teilnehmer an stressigen Tagen besonders häufig Dinge aus der Vergangenheit vergaßen (retrospektives Gedächtnis), beispielsweise wo sie etwas hingelegt hatten oder den Namen einer Person. Gleichzeitig erinnerten sie sich jedoch oft noch an zukünftige Dinge (prospektives Gedächtnis) wie einen Termin oder eine zu erledigende Aufgabe. Die Wissenschaftler vermuten, dass dies wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass Menschen häufig Hilfsmittel wie To-do-Listen oder Kalender verwenden, um sich solche zukunftsorientierten Aufgaben zu merken.

Begrenzte Menge an mentaler Energie

Die Wissenschaftler glauben, erklären zu können, warum Menschen an stressigen Tagen Dinge aus der Vergangenheit schneller vergessen, sagt die Studienleiterin Zeynep Saruhanlioglu. „Wir verfügen zu einem bestimmten Zeitpunkt nur über eine begrenzte Menge an mentaler Energie, und Stress kann einen großen Teil davon verschlingen. Wenn Sie auf einen Stressauslöser stoßen, reagieren Ihr Körper und Ihr Geist darauf: Der Herzschlag steigt, Stresshormone werden ausgeschüttet und die Gedanken richten sich auf das Problem. Der Fokus bleibt also auf dem Stressauslöser, so dass weniger Aufmerksamkeit für andere Dinge übrigbleibt, die man sich merken möchte. Warum genau dies geschieht, ist noch Gegenstand der Forschung, aber Studien deuten darauf hin, dass Stresshormone wie Cortisol die neuronalen Prozesse beeinflussen können, die an Aufmerksamkeit und Gedächtnis beteiligt sind. Es ist also nicht so, dass Ihr Gehirn nicht funktioniert, wenn Sie gestresst sind; es ist nur vorübergehend mit etwas anderem beschäftigt.“

Ergebnisse nicht überraschend

Dass Menschen an stressigen Tagen eher über Gedächtnisprobleme berichten, hat die Wissenschaftler daher nicht wirklich überrascht. „Stressige Ereignisse beanspruchen mentalen Raum. Wenn etwas Belastendes passiert, wird Ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt, so dass weniger „Platz“ für andere Dinge bleibt. Was uns jedoch überraschte, war, dass das Alter offenbar keine Rolle spielte: Erwachsene mittleren Alters waren genauso anfällig für die Auswirkungen von Stressauslösern wie Senioren.“

Positive Gefühle schützen nicht vor Gedächtnisprobleme durch Stress

Was die Wissenschaftler außerdem überraschte, war, dass positive Gefühle, die die Teilnehmer an einem bestimmten Tag erlebten, keinen direkten Schutz vor den Auswirkungen von Stress auf das Gedächtnis boten. Mit anderen Worten: Wenn Menschen an einem stressigen Tag positiv gestimmt waren, milderte dies die Auswirkungen von Stress auf ihr Gedächtnis nicht. Allerdings zeigte sich, dass Menschen, die über eine Woche hinweg im Durchschnitt positiver gestimmt waren, weniger anfällig für Gedächtnisprobleme waren. Dies deutet darauf hin, dass positive Gefühle keinen direkten Schutz vor Gedächtnisproblemen bieten, aber langfristig zur Erhaltung der geistigen Gesundheit beitragen können.

Langfristige Gedächtnisprobleme durch Stress noch nicht klar

So zeigen die Wissenschaftler aus Tilburg in ihrer Studie, dass stressige Ereignisse noch am selben Tag Auswirkungen auf das Gedächtnis haben können. Aber hat Stress für einen oder auch mehrere Tage auch langfristige Folgen? Das ist noch nicht ganz klar, erklärt Saruhanlioglu. „In unserer Studie haben wir uns auf die täglichen, unmittelbaren Auswirkungen konzentriert. Alltägliche Stressfaktoren sind oft klein, wie Verkehrsstau, ein spannungsgeladenes Gespräch oder ein Streit. Viele Menschen betrachten sie als alltäglich, aber immer mehr Untersuchungen zeigen, dass sich die Auswirkungen summieren und ernsthafte langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit haben können. Unsere Studie zeigt, dass schon das bloße Vorhandensein solcher alltäglichen Stressfaktoren das Gedächtnis am selben Tag beeinträchtigen kann. Wir haben auch festgestellt, dass Menschen, die häufiger Stress erleben, mehr Gedächtnisprobleme melden, was möglicherweise auf langfristige Auswirkungen hindeutet. Wir müssen jedoch vorsichtig sein, wenn wir auf der Grundlage dieser Beobachtungsstudie kausale Schlussfolgerungen ziehen, da andere Faktoren, wie beispielsweise der sozioökonomische Status, eine Rolle spielen können. Dennoch gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass chronischer Stress die kognitive Gesundheit langfristig negativ beeinflussen kann.“

Weiterführende Studien

Weitere Studien sind jedoch dringend erforderlich. „Wir müssen noch viel lernen“, bestätigt Saruhanlioglu. Stress kann beispielsweise aus verschiedenen Richtungen kommen: Man kann ihn bei der Arbeit erleben, aber auch zu Hause oder in Beziehungen. Und es ist noch nicht klar, ob diese verschiedenen Stressquellen das Gedächtnis alle auf die gleiche Weise beeinflussen. „Außerdem gibt es verschiedene Formen des Gedächtnisses“, erklärt Saruhanlioglu. So wird in dieser Studie beispielsweise bereits zwischen dem prospektiven Gedächtnis (dem Gedächtnis für zukünftige Aufgaben) und dem retrospektiven Gedächtnis (dem Gedächtnis für bereits stattgefundene Ereignisse) unterschieden. Man könnte aber auch zwischen Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis unterschieden oder zwischen der Art und Weise, wie Menschen ihr Gedächtnis selbst erleben, und die Leistung, die es während eines Tests erbringt. „Und jede Form kann in Bezug auf Stress ein eigenes Muster aufweisen“, betont Saruhanlioglu. „Und je besser wir diese Muster erfassen, desto gezielter können wir praktische Tipps entwickeln, die helfen, geistig fit zu bleiben. Außerdem interessiert uns, ob Menschen, die ihre Emotionen gut regulieren können, ihr Gedächtnis besser vor Stress schützen können.“

Nicht alle Stressfaktoren können oder müssen vermieden werden

Es gibt also noch viel zu erforschen. Bis diese Folgestudien vorliegen, lassen sich stressige Ereignisse leider kaum vermeiden. Manchmal gerät man in einen Stau, manchmal befindet man sich mitten in einer Konfliktsituation und manchmal steht man unter Zeitdruck bei der Arbeit. Aber aufgrund dieser Studie muss man sich darüber nicht sofort große Sorgen machen. Mehr noch: Stress gehört ein wenig dazu und muss nicht immer vermieden werden, betont Saruhanlioglu. „Nicht alle Stressfaktoren können oder müssen vermieden werden. Oft müssen wir Hindernisse überwinden und Herausforderungen angehen, um unsere Ziele zu erreichen. Stress kann Menschen helfen, zu wachsen, und oft lernen wir etwas aus herausfordernden Situationen.“ Gleichzeitig ist es jedoch gut, wenn es um Stress geht, die Dinge im Auge zu behalten. „Wenn Sie merken, dass ein Stressfaktor Ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht, versuchen Sie, Strategien anzuwenden, die mentalen Freiraum schaffen“, rät Saruhanlioglu. „Machen Sie zum Beispiel eine kurze Pause an einem stressigen Tag, schreiben Sie auf, was Sie nicht vergessen wollen, oder machen Sie etwas, das Ihre Stimmung positiv beeinflusst.“

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