Donnerstag, 9. März 2023

Übergewicht viel ungesunder als gedacht: BMI-Messfehler ließ es weniger schädlich erscheinen



Wir alle wissen, dass zu dick sein ungesund ist, aber wir denken dabei vor allem an schweres Übergewicht und Fettleibigkeit. Ein wenig Übergewicht ist doch nicht so schlimm - oder doch?

 

Neuen amerikanischen Forschungsergebnissen zufolge ist Übergewicht schlechter für die Gesundheit als bisher gedacht. Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas) soll das Risiko für einen vorzeitigen Tod um 22 bis 91 Prozent erhöhen. Ein wenig Untergewicht zeigte sich dagegen als weniger schädlich als bisher angenommen.

Völlig unterschätzt

Die Studie räumt mit der Vorstellung auf, dass ein wenig Übergewicht nicht so schlimm ist. Die statistische Datenanalyse von fast 18.000 Personen zeigt auch die Grenzen des BMI (Body-Mass-Index) als Maß für die Gesundheit auf. Letztendlich kommen die Forscher zu dem Schluss, dass jeder sechste Todesfall in den USA auf Übergewicht oder Fettleibigkeit zurückzuführen ist.

„Bisherige Studien haben die Folgen unterschätzt, wenn man in einem Land lebt, in dem billige, ungesunde Lebensmittel allgegenwärtig sind und eine sitzende Lebensweise zur Norm geworden ist“, sagen die Forscher. „Diese und andere Studien beginnen, den wahren Tribut dieser Gesundheitskrise aufzudecken“. Zahlreiche Studien haben zwar gezeigt, dass Herz- und Gefäßkrankheiten, Bluthochdruck und Diabetes das Sterberisiko erhöhen, aber nur wenige haben nachgewiesen, dass Personengruppen mit einem höheren BMI ein höheres Sterberisiko haben.

Das Adipositas-Paradoxon

Das Gegenteil ist sogar der Fall. Es gibt so etwas wie das Adipositas-Paradoxon. Die meisten Studien kommen zu einer U-Kurve, wenn es um das Sterberisiko im Vergleich zum BMI geht: Übergewichtige mit einem BMI zwischen 25 und 30 haben das geringste Sterberisiko, Fettleibige mit einem BMI von 30 bis 35 haben ein nur wenig erhöhtes Sterberisiko, und Untergewichtige mit einem BMI unter 18,5 sowie Personen mit morbider Adipositas mit einem BMI über 35 haben das höchste Sterberisiko. „Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass ein erhöhter BMI das Sterberisiko erst bei einem sehr hohen BMI steigert und Übergewicht sogar einen Überlebensvorteil bietet“, erklären die Forscher. „Wir bezweifeln diese Behauptungen.“

Der BMI ist nur auf Gewicht und Größe basiert, berücksichtigt aber zum Beispiel nicht die Unterschiede in der Körperzusammensetzung oder wie lange jemand schon übergewichtig ist. Die Forscher wollten diese Abstufungen aber berücksichtigen und untersuchten daher die Daten von beinahe 18.000 Menschen, von denen fast 4.500 starben, die an einer US-Gesundheitsstudie von 1988 bis 2015 teilnahmen.

Künstliche Zahlen

Die Forscher fanden heraus, dass bis zu 20 Prozent der Menschen, die in die Kategorie „gesundes Gewicht“ fielen, in den letzten zehn Jahren übergewichtig oder fettleibig waren. Betrachtete man diese Gruppe separat, wiesen sie ein wesentlich schlechteres Gesundheitsprofil auf als Menschen mit gleichbleibendem Gewicht. Die Forscher weisen darauf hin, dass lebenslanges Übergewicht Krankheiten verursachen kann, die paradoxerweise zu einem schnellen Gewichtsverlust führen. Wenn zu diesem Zeitpunkt die BMI-Daten erhoben wurden, verfälschen sie die Ergebnisse. „Wir wagen zu behaupten, dass wir das Sterberisiko der Kategorie mit niedrigem BMI künstlich aufgebläht haben, indem wir die Menschen mit hohem BMI, die erst kürzlich Gewicht verloren, mit einbezogen haben“, so die Wissenschaftler.

Aber auch das Gegenteil war der Fall: 37 Prozent der Übergewichtigen und 60 Prozent der Fettleibigen hatten in den zehn Jahren vor der Messung einen niedrigeren BMI. Diejenigen, die in letzter Zeit dick geworden waren, hatten also ein besseres Gesundheitsprofil, als die Messung ergab. „Die Folgen eines hohen BMI sind kein Lichtschalter, den man ein- und ausschaltet“, erklären die Wissenschaftler. „Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass die Folgen des Übergewichts davon abhängen, wie lange man schon zu dick ist.“

Verzerrtes Bild

Durch die Einbeziehung von Menschen, die die meiste Zeit ihres Lebens ein gesundes Gewicht hatten, aber irgendwann einmal übergewichtig waren, ließen frühere Studien einen hohen BMI weniger ungesund erscheinen, als er tatsächlich ist. Außerdem spielte es eine große Rolle, wie hoch der Fettanteil war, fanden die Forscher heraus: Manche Menschen sind sehr muskulös und daher schwer. Auch sie werden dann zu den Übergewichtigen gezählt, obwohl sie gar nicht ungesund sind. Das wiederum verzerrt das Bild.

Als der Statistiker diese Messfehler korrigierte, entdeckte er keine U-Kurve, sondern eine gerade ansteigende Kurve, bei der diejenigen mit dem niedrigsten BMI (zwischen 18,5 und 22,5) auch das geringste Sterberisiko hatten. Er stellte auch fest, dass Untergewicht nicht zu einem erhöhten Sterberisiko führt, wie frühere Untersuchungen behauptet hatten. Aber es kommt noch schlimmer: Während frühere Studien die Sterblichkeitsrate bei Erwachsenen in den USA aufgrund eines hohen BMI auf zwei bis drei Prozent schätzten, kommen die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Studie auf eine achtmal höhere Sterblichkeitsrate, also mindestens 16 Prozent.

Gesundheitskrise

Die Forscher raten daher auch, „äußerst vorsichtig“ zu sein, wenn man Schlussfolgerungen auf den BMI stützt. Sie hoffen aber vor allem, dass ihre Studie das Ausmaß der Gesundheitskrise verdeutlicht, die durch die überall erhältlichen billigen und ungesunden Lebensmittel verursacht wird. „Für Menschen, die in den 70er und 80er Jahren geboren wurden und ihr ganzes Leben in dieser ungesunden Umgebung verbracht haben, sind die Aussichten auf ein gesundes Alter derzeit nicht gut“, meinen die Forscher. „Wir hoffen, dass diese Studie eine Diskussion darüber anregen wird, was wir als Gesellschaft dagegen tun können.“

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