Montag, 8. Dezember 2025

Darum erkranken Frauen häufiger an Alzheimer oder Multiple Sklerose



Es ist ein seltsames Phänomen: Frauen erkranken zwei- bis dreimal häufiger an Alzheimer oder Multiple Sklerose (MS) als Männer. Der Grund ist ein Gen auf dem X-Chromosom, das Entzündungsprozesse im Gehirn anfeuert. Dieses Gen ist auch für den Gehirnnebel (Brain Fog) während der Wechseljahre verantwortlich.

Genetisch bedingte Entzündungsaktivität

Das Gen Kdm6a spielt offenbar eine zentrale Rolle bei der Aktivität der Mikroglia, den Immunzellen des zentralen Nervensystems. Da Frauen zwei X-Chromosomen haben und Männer nur eins, sind Frauen praktisch einer doppelten Dosis an Entzündungsaktivität ausgesetzt. Und diese Überaktivität kann zu Hirnalterung und neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer und Multiple Sklerose beitragen.

Unterschiede zwischen Männern und Frauen

„Es ist seit langem bekannt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede im Gehirn gibt“, sagt die Forschungsleiterin Dr. Rhonda Voskuhl von der University of California Los Angeles (UCLA). „Diese Unterschiede beeinflussen sowohl die Gesundheit des Gehirns als auch das Risiko für neurologische Erkrankungen. Multiple Sklerose und Alzheimer treten bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger auf. Außerdem leiden zwei Drittel der gesunden Frauen während der Wechseljahre unter Brain Fog. Unsere neuen Erkenntnisse erklären, warum das so ist, und weisen auf eine neue Behandlungsmethode hin, um dieses Problem anzugehen.“

Ausschalten des Gens verbesserte Symptome

Voskuhl und ihre Kollegen verwendeten ein Mausmodell für Multiple Sklerose. Als der Erstautor Dr. Yuichiro Itoh das Kdm6a-Gen in den Mikroglia genetisch ausschaltete, gingen die Immunzellen in einen Ruhezustand über. Die Krankheitssymptome und Nervenschäden nahmen deutlich ab, jedoch nur bei weiblichen Mäusen.

Die Wissenschaftler testeten auch eine medikamentöse Ausschaltung des entsprechenden Proteins mit Metformin, einem häufig verwendeten Diabetesmedikament, das auch mit Anti-Aging-Effekten in Verbindung gebracht wird. Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Die Hemmung von Kdm6a auf diese Weise verbesserte das Krankheitsbild bei Frauen erneut deutlich, bei Männern jedoch kaum.

Zwei X-Chromosomen erhöhen das Risiko

„Das passt zu der Vorstellung, dass bei Frauen mehr zu blockieren ist, da sie zwei Kopien des X-gebundenen Gens haben“, erklärt Voskuhl. „Das ist auch der Grund, warum Frauen häufiger an Multiple Sklerose und Alzheimer erkranken. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Praxis: Frauen können anders auf Metformin reagieren als Männer.“

Das Gleichgewicht zwischen Genen und Hormonen

Aber die Ergebnisse sind weitreichender. Voskuhl sieht eine umfassendere biologische Logik hinter dem Zusammenspiel zwischen dem X-Chromosom und den Sexualhormonen. „Diese Chromosomen und Hormone haben im Laufe der Evolution ein Gleichgewicht erreicht“, sagt sie. „Bei Frauen sorgt das X-Chromosom für eine aktive Entzündungsreaktion, die während der fruchtbaren Jahre nützlich ist, um Infektionen zu bekämpfen. Östrogen hält diese Entzündung in Schach, da dieses Hormon entzündungshemmend und nervenschützend wirkt. Aber während der Menopause sinkt der Östrogenspiegel und dann kommt die entzündungsfördernde Wirkung des X-Chromosoms im Gehirn frei.“

Überaktivität des Immunsystems im Gehirn

Das könnte erklären, warum so viele Frauen nach den Wechseljahren unter Brain Fog, Gedächtnisproblemen und einem erhöhten Risiko für Neurodegeneration leiden. Voskuhl betont, dass dies kein Fehler der Natur ist, sondern ein evolutionärer Kompromiss. „Ein aktives Immunsystem im Gehirn ist bei jungen Frauen vorteilhaft, um Infektionen zu überstehen und die Versorgung der Nachkommen zu gewährleisten“, sagt sie. „Aber dieselbe Überaktivität macht ältere Frauen anfälliger, sobald das schützende Östrogen wegfällt.“

Neue Therapiechancen

Die Wissenschaftler stellten fest, dass das Kdm6a-Gen nicht nur bei Mäusen, sondern auch bei Menschen verstärkt aktiv wird. „Das Gen, das bei weiblichen Mäusen stärker zum Ausdruck kam, erwies sich auch bei Frauen mit Multiple Sklerose als aktiver als bei Männern mit MS“, so Voskuhl. „Außerdem zeigten die Entzündungsgene in den Mikroglia von Frauen mit MS die gleichen Muster wie bei den weiblichen Mäusen.“

Das bedeutet, dass eine Behandlung mit Metformin auch bei Menschen vielversprechend sein könnte. „Wir müssen untersuchen, ob Metformin die Nervenentzündungen bei Frauen mit MS und möglicherweise auch bei anderen Hirnerkrankungen, bei denen Frauen überrepräsentiert sind, verringern kann“, sagt Voskuhl. „Solche Studien müssen jedoch speziell bei Frauen durchgeführt werden, nicht bei Frauen und Männern zusammen. Eine starke Wirkung bei Frauen könnte sonst durch eine fehlende Wirkung bei Männern „verwässert“ werden.“

Hormontherapie überprüfen

Die Entdeckung hat auch Auswirkungen auf die Hormontherapie bei Frauen in den Wechseljahren. Voskuhl plädiert für einen zweigleisigen Ansatz: die Blockierung des Entzündungsgens und die Beibehaltung der schützenden Wirkung des Östrogens.

„Metformin ist ein Kandidat für die Blockierung des X-Chromosomen-Effekts“, erklärt sie. „Das am häufigsten verwendete Östrogenpflaster gegen Hitzewallungen ist jedoch nicht zum Schutz des Gehirns entworfen und birgt Sicherheitsrisiken, da es stark an den Östrogenrezeptor im Brustgewebe bindet.“

Es gibt jedoch eine sichere Alternative: Estriol. „Estriol - das schwächste der körpereigenen Östrogene - wurde bei Frauen mit MS getestet und zeigte nach zwölf Monaten eine schützende Wirkung“, sagt Voskuhl. „Es wird nun für gesunde Frauen mit menopausalem Brain Fog wiederverwendet, möglicherweise auch mit Auswirkungen auf die Prävention von Alzheimer.“

Die Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Forschung

Voskuhl betont, dass es an der Zeit ist, die neurologische Forschung besser auf geschlechtsspezifische Unterschiede abzustimmen. „Es gibt deutliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen“, sagt sie. „Diese müssen wir berücksichtigen, um Behandlungen zu entwickeln, die speziell für Frauen oder für Männer wirken. Die Verwendung ausschließlich männlicher Versuchstiere sagt nichts über die weibliche Biologie aus. Und beide Geschlechter in einer Studie zusammenzufassen und dann im Nachhinein zu prüfen, ob es einen Unterschied gibt, funktioniert nicht, da die Wirkung bei Frauen dann einfach untergeht.“

Die Studie zeigt, dass weibliche Gehirne nicht nur aufgrund von Hormonen, sondern auch aufgrund ihrer Gene anders altern. Diese Erkenntnis öffnet die Tür zu Behandlungen, die nicht einem einheitlichen Standardansatz folgen, sondern die biologische Realität von Frauen ernst nehmen. „Wir lernen endlich, wie das weibliche Gehirn wirklich funktioniert“, schließt Voskuhl. „Und das bringt uns dem Schutz der Gehringesundheit von Frauen näher, von den fruchtbaren Jahren bis weit nach der Menopause.“

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