Beziehungen zwischen Familienmitgliedern senken das Sterberisiko. Das trifft für Freundschaften nicht zu.
In den vergangenen Jahrzehnten ist
die Zahl der Singlehaushalte kontinuierlich gestiegen. Für
Alleinlebende sind Freunde oftmals wichtiger als Familienmitglieder:
»Freunde sind die Familie, die man sich selbst aussucht« bestätigen
viele Singles und oft müssen Freundschaften inzwischen
Familienbeziehungen ersetzen. Denn dass man seinen Heimatort
inklusive Verwandten verlassen muss oder will, hat die
verschiedensten Gründe: Beruf, Partnerschaften, Trennungen oder
einfach Abenteuerlust. Aber der Mensch ist ein soziales Wesen und
versucht in der Regel, sich Begleiter zu suchen, die ähnliche
Interessen verfolgen oder emotionale Bedürfnisse stillen. Doch
Freundschaft ist bei Weitem nicht dasselbe wie Verwandtschaft, haben
jetzt wissenschaftliche Analysen ergeben.
»Blut ist dicker als Wasser«
Das
Sprichwort: »Blut ist dicker als Wasser« scheint angesichts der
aktuellen Studie immer noch eine Berechtigung zu haben. Und diese
Verbundenheit bleibt ein Leben lang. Trotz aller Streitereien,
Familienzwistigkeiten und familiärer Uneinigkeit. Selbst wenn
jeglicher Kontakt abgebrochen wird, bleibt man doch Teil der eigenen
Familie. Das ist auch gut so und senkt sogar das Sterberisiko, wie
Soziologen nun bestätigen. Für Freundschaften ließ sich dieser
Gesundheitsvorteil allerdings nicht bestätigen. Bei älteren
Erwachsenen, die mehr Familienmitglieder in ihrem sozialen Netzwerk
haben oder eine besonders enge Bindung zu Verwandten pflegen, sinkt
das Sterberisiko. Das trifft nicht auf viele oder enge Freundschaften
zu. Diese Ergebnisse wurden im Fachartikel »Social Relationships and
Mortality in Older Adulthood« am 21-08-2016 beim 111. Jahreskongress
der »American Sociological Association« präsentiert.
Enge Familienbande wirken lebensverlängernd
»Wir
stellten fest, dass ältere Erwachsene im Alter zwischen 57 und 85
Jahren, die mehr Familienmitglieder in ihrem Netzwerk hatten oder
eine besonders enge Bindung zur Familie, wahrscheinlich länger
leben«, erklärt James Iveniuk, Haupt-Autor der Studie und
Postdoktorand an der Universität von Toronto. »Diese Zusammenhänge
konnten wir bei Freundschaften nicht beobachten.«
Die
Senioren hatten - abgesehen von Ehepartnern - durchschnittlich 2,91
Vertrauenspersonen genannt. Dabei gaben die ältesten Teilnehmer an,
sehr viel Unterstützung von ihren sozialen Kontakten zu erhalten.
Die meisten der Befragten waren verheiratet, bei guter körperlicher
Gesundheit und fühlten sich nicht sehr einsam.
Sterberisiko bei weniger engen Familienbanden mehr als doppelt so
hoch
James
Iveniuk und Co-Autor L.Philip Schumm, ein Biostatistiker von der
Universität Chicago, stellten fest, dass ältere Erwachsene, die
sehr enge Beziehungen zu den genannten familiären Vertrauenspersonen
pflegten, ein Sterberisiko von sechs Prozent innerhalb der nächsten
fünf Jahre hatten. Bei den weniger engen Familienbeziehungen stieg
das Sterberisiko in den nächsten fünf Jahren auf 14 Prozent.
Insgesamt
war das Sterberisiko für Senioren geringer, wenn sie viele direkte
statt angeheiratete Verwandte in ihrem sozialen Netzwerk hatten.
Allerdings sind die Wissenschaftler davon überzeugt, dass generell
soziale Kontakte und Beziehungen zu anderen Menschen die
Lebenserwartung erhöhen. Die Soziologen waren allerdings überrascht,
dass sich enge Familienbeziehungen und Vertrauensverhältnisse mit
direkten Verwandten derart auf das Sterberisiko auswirken und
ähnliche Bindungen zu Freunden nicht dieselben Auswirkungen haben.
Selbst gewählte Freunde haben nicht denselben Effekt
»Weil
man Freunde ja selbst wählt, würde man erwarten, dass
freundschaftliche Beziehungen wichtiger für die Sterblichkeit sind,
denn Freundschaften schließt man nach persönlichen Vorlieben und
sozialen Bedürfnissen«, sagt Iveniuk. »Aber diese Annahme wird
nicht durch unsere Daten gestützt; es sind gerade die Menschen, die
wir ebenso wenig selbst auswählen können wie sie uns, die den
größten Vorteil für Langlebigkeit bringen.«
Vier soziale Hauptfaktoren beeinflussen die Lebenserwartung
Neben
dem Vergleich von Freundschaften und Familienbeziehungen, untersuchte
die Studie auch die charakteristischen Merkmale eines sozialen
Netzwerks im Allgemeinen sowie den Einfluss auf die Sterblichkeit.
Die vier Faktoren, die am stärksten die Sterblichkeit senken, sind
Ehe, ein großes soziales Netzwerk, große Teilnahme an sozialen
Organisationen und eine enge Verbundenheit zu den Vertrauenspersonen.
Alle Faktoren sind ungefähr gleich wichtig für die Lebenserwartung.
Als weniger wichtig zeigten sich die gemeinsam verbrachte Zeit mit
den Vertrauenspersonen, der Zugang zu sozialer Unterstützung und das
Gefühl von Einsamkeit.
Heiraten erhöht die Lebenserwartung
»Ich
hatte erwartet, dass der Zusammenhang zwischen Teilnahme an sozialen
Organisationen und Sterblichkeit erheblich abnehmen würde, wenn wir
andere Aspekte des sozialen Umfelds mitbetrachten, doch das passierte
nicht«, erklärt Iveniuk.
Interessanterweise
hatte die Ehe positive Effekte auf die Langlebigkeit, unabhängig von
der Qualität der Verbindung. »Wir konnte nicht beobachten, dass
sich unterstützende Maßnahmen des Ehepartners auf die Sterblichkeit
auswirken. Das deutet an, dass zwar die Ehe allgemein wichtig ist für
eine Langlebigkeit, aber weniger einzelne Aspekte der ehelichen
Verbindung«, sagt Iveniuk.
Familiäre Bindungen grundsätzlich wichtig für die
Lebenserwartung
Allgemein
unterstreichen Iveniuks Studienergebnisse die grundlegende
Wichtigkeit familiärer Bindungen für die Lebenserwartung. »Seit
den Anfängen der allerersten soziologischen Theorien haben viele
verschiedene Denker bemerkt, dass es irgendeine spezielle Wichtigkeit
gibt, die Menschen ihren Familienbeziehungen zuordnen. Das sorgt
gleichzeitig dafür, dass man mit Menschen im Kontakt bleibt und sie
unterstützt, um die man sich nicht unbedingt kümmern würde, wenn
man die freie Wahl hätte«, meint Iveniuk.
Zeit für die Beziehungspflege
Und
auch wenn jeder von uns Familienkrisen kennt, erlebt wie
Freundschaften zerbrechen oder Beziehungen jeglicher Art scheitern:
Familienbande sind schön und schrecklich zugleich, doch sie geben
uns Sicherheit in unsicheren Zeiten, gerade weil man
Familienbeziehungen nicht einfach »kündigen« kann. Was
Familienbeziehungen und auch verlässliche Freundschaften auf jeden
Fall benötigen, sind Zeit. Zeit, sich zu entwickeln und auch Zeit,
um gepflegt zu werden. Zeit, die wir manchmal nicht aufbringen können
oder wollen. Denn das ist anstrengender als Freundschaft und
Beziehung 2.0. Da reicht ein Mausklick zur neuen Freundschaft - und
ist genauso schnell wieder beendet, noch bevor man sich wirklich
kennengelernt hat. Virtuelle Freundschaften erfordern nicht unbedingt
»Beziehungsarbeit«. Sie sind dafür auch äußerst unverbindlich
und schnelllebig. Wer aber ab und zu eine echte Schulter zum
Ausweinen braucht oder jemanden, mit dem man die glücklichsten
Momente im Leben teilen kann, sollte Familien- und Freundschaftsbande
ein wenig pflegen.
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